Auszeit – Vom Dunkel ins Licht

Diesmal eine eher ungewöhnliche Begegnung in Vogelsang, an einem regnerischen
Tag stand plötzlich ein Kamel vor unserem Grundstück. Mein Hirn setzte einen
Moment aus…, hatten mir doch die Mussina, ein Beduinenstamm bei dem ich
regelmässig im Sinai zu Gast war, vor kurzem mitgeteilt, wenn ich nicht bald mal
wieder käme müssten sie mich holen… Aber konnte das sein? Der junge Mann neben
dem Kamel sah nun nicht wie ein Beduine aus. Aber was machte der vor unserer
„Auszeit am Haff“? Und dann noch diese ungewöhnliche tierische Begleitung. Also
alle „zutun-Listen“ beiseitegeschoben und hin. Es stellte sich raus, ein Franzose hatte
in Polen ein Kamel erworben und wollte nun mit diesem in die Bretagne zu seiner
Großmutter laufen. Während wir da so standen wurde der Regen stärker, also
kurzerhand auf den Hof und unter das Dach – hoch genug auch für das Kamel.
Neugierig wie diese Tiere nun mal sind inspizierte es sofort alles herumstehende, ob
nicht etwas Essbares dabei sei und entdeckte den Sack Weizen. Nun gut, Schüssel
abgefüllt und guten Appetit. In der Zwischenzeit konnten Sebastian und ich uns
unterhalten. Nun staune er, dass er in solch einem kleinen Dorf am Stettiner Haff
jemanden getroffen hatte, der mit Kamelen umgehen konnte.

So richtig mitbekommen, wie das dann so ineinandergriff hatte ich nicht, aber sehr
schnell war der NDR mit der Kamera zur Stelle. Und auch auf der Straße wurden jede
Menge Selfies gemacht und beim erstaunten wahrnehmen des Kamels
Bremsmanöver veranstaltet. Ganz ordentlicher Trubel für unser Dorf und so herrlich
international.

Im Nordmagazin erschien der Sendebeitrag. Umso erstaunter war ich, als ich zwei
Tage später eine Email aus Doha/ Katar bekam. Selbst dort war nun die Nachricht
angekommen, ein Kamel liefe durch Mecklenburg-Vorpommern…
Mich erinnerte das an so viele schöne Zeiten in der Wüste. Es wurde eine längere
Auszeit… Und da das Kamel auch noch nach dem arabischen Geschichtenerzähler
Nasrredin benannt war, kamen dann auch noch Märchen aus meiner Erinnerung
hoch, die mir Beduinen am abendlichen Feuer erzählt hatten:

Die Erschaffung des Kamels

Als Gottvater die Erde erschuf, erschuf er auch die Tiere. Zuerst die Seelen, doch die
Tiere verlangten nach einem Körper. Das rief Gott die Tiere zusammen und als alle
versammelt waren, führte er sie in einen großen Raum. Dort sollte sich jedes Tier
seinen Körper, seinen Kopf, seine Beine und Füße zusammensuchen. Als erstes
begann der Elefant. Er suchte sich einen großen, schweren, grauen Körper aus. Dann
noch einen langen Rüssel, einen Schwanz mit Büschel, vier Füße – fertig war der
Elefant. So ging ein Tier nach dem anderen in den Raum und suchte sich seinen
Körper aus. Am Nachmittag, so gegen 17.00 Uhr, waren alle Tiere fertig. Die Engel
wollten die Pforten schließen. Da kam ein letztes Tier: Langsam, bedächtig, doch
schwingend-fröhlich mit einem freien Geist. Es war das Kamel. Doch die Engel
wollten es nicht mehr einlassen. Da bat und bar das Kamel die Engel und schließlich
hatten die Erbarmen. Sie öffneten erneut die Pforten. Doch wie erstaunt waren die
Engel und das Kamel, als sich kein einziger Körper mehr in dem Raum befand. Da
wurde das Kamel sehr traurig und begann zu weinen. Die Engel, die sich keinen Rat
wussten, holten Gottvater. Dieser überlegte einen Moment, dann zeigte er dem
Kamel alle anderen Tiere. Zu dem Kamel sagte er, es solle sich nun aussuchen, was
es haben wollte. Da besann sich das Kamel nicht lange und sprach: „Den Hals der
Giraffe, die Füße vom Pferd, die Farben des Löwen usw“. Eben von allen Tieren
etwas – und fertig war das Kamel. Und so ist es bis heute, von allen Tieren etwas.
Langsam, bedächtig, doch schwingend-fröhlich, mit einem freien Geist bewegt sich
das Kamel.

Erzählt von den Beduinen des Stammes der Mussina im Sinai

Es wurde eine längere Auszeit. Die Wüste reduziert uns auf das Wesentliche. Und
Begegnungen gehören da einfach dazu.
Alles wild hier!
Herzlich Willkommen!
Ulrike Leye

Das wandernde Kamel erschien ebenfalls:
im Tagesspiegel
auf der RTL-Website